van Doesburg Kontra-Komposition mit Dissonanten XVI 1925
Konkreter Kontext
Das Oeuvre von VG entstand im Kontext und in Zusammenarbeit mit anderen Kunstbewegungen seiner Zeit. Direkt wirksam wurden u.a. „De-Stijl“ und die „Zürcher Konkreten“. Sie werden hier mit gleicher Gliederung skizziert.
Steckbrief “De Stijl“
Mit der Bezeichnung De Stijl (holl. Der Stil) gründeten 1917 Theo van Doesburg und Piet Mondrian in Leyden (Holland) eine künstlerische Bewegung, der sich bis 1928 eine Reihe von bildenden Künstlern (Georges Vantongerloo, Vilmos Huszars, Bart van der Leck, Vordemberge-Gildewart), Architekten (Robert van’t Hoff, J.J.R. Oud, Jan Wils, Gerrit Rietveld, Cornelius van Esten), Dichtern (Anthony Kok), Typographen und Designern für unterschiedliche Zeit anschlossen.
Als Theoretiker und Organisator Gruppe gab van Doesburg die gleichnamige Zeitschrift heraus, die als monatliches Informationsorgan zum programmatischen Forum zentraler Ideen der Gruppe wurde und die neue Kunstentwicklung, über die Präsentation der jeweiligen Kunstwerke hinaus, auch in argumentativer Weise wesentlich beeinflusste.
Umschlag De Stijl 1917-1920
Zentraler Gedanke der Bewegung war die Ablösung der Individualität traditioneller Kunst zugunsten einer Universalität, die strenger Gegenstandlosigkeit verpflichtet und einer radikalen Reduktion von Farbe und Form folgend, eine elementare Erneuerung der Architektur, Bildhauerei, Malerei, Typographie und Dichtung anstrebte. Die dadurch geschaffenen grundlegenden ästhetischen Ordnungsvorstellungen sollten nach Auffassung einer Reihe von Mitgliedern nicht nur die Welt der Kunst und Kultur verändern, sondern auch zu einem neuen universellen Lebensprinzip werden.
Als 1925 nach Einladung van Doesburgs sich VG der Gruppe anschloss, hatten unterschiedliche Auffassungen schon zu verschiedenen neuen Zusammensetzungen und Konflikten geführt, die u.a. im gleichen Jahr zum Austritt des Gründungsmitglieds Mondrian und 1928 zur Auflösung der Gruppe führten. Dennoch hat sich die Bewegung über den zeitlich begrenzten Zusammenschluss hinaus zu einer richtungsweisenden Avantgarde entwickelt. Über den wechselseitigen Einfluss der Zugehörigkeit VGs zur Stijl-Gruppe schreibt u.a. H.L.C. Jaffé (1965):
„Vordemberge-Gildewart schloss sich dem Stijl an, als die ursprüngliche Konzeption der Neuen Gestaltung schon durch van Doesburgs neue Konzeption des Elementarismus ersetzt worden war. Seine Arbeiten dieser Periode, um 1925, stimmten mit van Doesburgs dynamischer Konzeption überein. […]
van Doesburg Kontra-Komposition V 1924
Vordemberge-Gildewart Komposition Nr. 31 1927
Während seiner Zugehörigkeit zum Stijl, zeigte seine von ihm bevorzugte Arbeit einen harten und dynamischen Ausdruck; ein gutes Beispiel dieses Trends ist seine farbige Lithographie von 1935, in der es ihm bewundernswert gut gelang, die lithographische Technik in eine klare und präzise Ausdrucksweise zu transformieren. Diese Vorliebe für Präzision ist Vordemberges bemerkenswertes Kennzeichen. Sie gestattete es ihm auch, ausgezeichnete Arbeit als Typograph zu leisten und seine Geschicklichkeit den verschiedensten Bereichen plastischer Tätigkeit zu widmen. Präzision und Sauberkeit, zwei der wichtigsten durch den Stijl hervorgehobenen Eigenschaften, blieben charakteristisch für seine Arbeit. In späteren Jahren, als er sich in Amsterdam niederließ, entwickelte er eine ergänzende Verfeinerung: seine Vorliebe für den Kontrast verschiedener Materialien, die in früheren Jahren durch die Anwendung von Materialfragmenten auf der Leinwand Ausdruck fand, war inzwischen durch eine andere Art der Leinwandoberflächenbehandlung ersetzt worden: grober und feiner, körniger und polierter, glänzender und matter Kontrast in einer Art und Weise, die eine ergänzende Belebung nicht nur der Leinwandoberfläche, sondern auch des bildhaften Ausdrucks hervorrief. Durch diese Fortschritte hat er die Ausdrucksmittel des Stijl, die Denaturalisierung, bereichert“ (Jaffè 1965, S. 187-188).
Ziele und Prinzipien
Das zentrale Ziel, die grundlegende Erneuerung der Kunst und Kultur, war nach Auffassung der Stijl-Gruppe nur zu erreichen, wenn die Kunst und wichtige Kulturträger sich der zentralen Elemente Farbe und Form vergewissern und eine völlig neue abstrakte Formen-Sprache entwickeln. Konkret bedeutete dies:
- Eine strenge Reduktion auf die Primärfarben Rot, Gelb und Blau sowie die unbunten Farben Schwarz und Weiß,
- die Entwicklung geometrischer Ordnungen aus horizontalen und vertikalen Elementen zu autonomer Selbstständigkeit,
- Vermeidung individueller Gestaltung und natürlicher Formen mit dem Ziel einer umfassenden Allgemeingültigkeit und Objektivität.
Antrieb für dieses radikale Umdenken war die Vorstellung, eine Kunst zu schaffen, die von allen „zweitrangigen Attributen“ wie Inhalt und Unklarheit des Ausdrucks, sowie individueller oder rein zufälliger Einflüsse „befreit“ ist.
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Durch eine solche „Reinigung“ der bildenden Künste von Zufälligkeiten, persönlichen Absichten und natürlichen Vorgaben sollen durch bildnerische Mittel jene sogenannten allumfassenden universellen Gesetzmäßigkeiten des Kosmos transparent und zugänglich gemacht werden. In letzter Konsequenz bedeutete das für die Stijl-Gruppe:
„Ein neues Leben, eine neue Wirklichkeit sollte entstehen, nach universellen Prinzipien; Prinzipien, die die Maler des Stijl zum ersten Male in der Geschichte vollständig sichtbar gemacht hatten“ (Jaffé 1965, S. 15).
Im Manifest I, das van Doeburg und Mondrian in der Gründungsphase 1918 dazu mit punktuellem Bezug zu Philosophen wie Platon, Spinoza und Hegel, sowie bewussten Gegensätzen (alt-neu, subjektiv-objektiv, individuell-universell etc.) verfassten, heißt es auszugsweise:
„1. Es gibt ein altes und ein neues Zeitbewusstsein. Das alte richtet sich auf das Individuelle. Das neue richtet sich auf das Universelle. Der Streit des Individuellen gegen das Universelle zeigt sich sowohl in dem Weltkrieg wie in der heutigen Kunst.
[…]
3. Die neue Kunst hat das, was das neue Zeitbewusstsein enthält, ans Licht gebracht: gleichmäßiges Verhältnis des Universellen und des Individuellen.
[…]
6. Deshalb rufen die Begründer der neuen Bildung alle, die an die Reform der Kunst und Kultur glauben, auf, diese Hindernisse der Entwicklung zu vernichten, so wie sie in der neuen bildenden Kunst – indem sie die natürliche Form aufhoben – dasjenige ausgeschaltet haben, das dem reinen Kunstausdruck, der äußersten Konsequenz jeden Kunstbegriffs im Wege steht.
[…]
8. Das Organ ‚Der Stil‘ ist zu diesem Zweck gegründet, trachtet, dazu beizutragen, die neue Lebensauffassung in ein reines Licht zu stellen.
9. Mitwirkung aller ist möglich durch: […] Beiträge im weitesten Sinne (kritische, philosophische, architektonische, wissenschaftliche, literarische, musikalische usw. sowie reproduktive) für die Monatsschrift ‚Der Stil‘“ (de stijl, II S. 4).
Im Selbstverständnis der Stijl-Gruppe waren diese radikal erscheinenden Ziele nicht neu, sondern nur die konsequente Fortführung einer Entwicklung in der Kunst, die sich schon seit einiger Zeit abzeichnete, wie im Heft I von de Stijl betont wird:
„Als die Malerei sich erst einmal von der naturalistischen Wiedergabe der Dinge freigemacht hatte, war der Weg auch offen zu den weiteren Konsequenzen. […] Dies geschah durch expressionistische, kubistische, orphische und andere Ausdrucksweisen. Schließlich musste sich daran die endgültige Auflösung jeder Form in geraden Linien und die Umwandlung der naturalistischen Farbgebung in die glatte, reine Farbe anschließen (abstrakte realistische Malerei)“ (de stijl, I. S. 130).
Und Jaffe‘ resümiert: „Der wichtigste Aspekt der Bedeutung des Stijl liegt darin, daß er als eine Art Leuchtfeuer anzusehen ist. Seine starken puristischen Tendenzen wiesen der Kunst den Weg, dem sie folgen muß, um den lästigen Ballast abzuwerfen. Diese Reinigung ist umso bedeutsamer, als sie die Richtung zur Bildung einer allgemeinen brauchbaren Sprache der bildenden Kunst angibt“ (Jaffé 1965, S. 18).
Um diese umfassende kulturelle und gesellschaftliche Veränderung zu erreichen, muss die bildende Kunst auch die Voraussetzungen für eine eigene, objektive, allgemeine und brauchbare „Sprache“ entwickeln. Dies kann nach Auffassung der Stijl-Gruppe nur gelingen, wenn sie sich bei ihren Produktionen aller subjektiven Emotionen entledigt, auf die fundamentalen Farben und Formen besinnt und diese mit Bezug zu objektiven Organisationsformen (u.a. der Geometrie und Mathematik) präsentiert.
Theo van Doesburg, Composition XVII, 1919
Dabei war es für van Doesburg und Mondrian wichtig, dass diese Orientierung an Maß, Zahl und abstrakter Linie nicht nur als Übernahme eines formalen Systems in der Bildkonstruktion erscheint, sondern durch die Kunst ein Erkenntnissystem geschaffen wird, das auf der Vernunft gründet, wie Riese betont: „Mathematik, oder Geometrie als ihre Teildisziplin sind also für die Künstler des De Stijl Methoden der Erkenntnis, nicht Modi der Konstruktion“ (Riese 2008, S. 39).
Während bei der Formulierung dieser Basisbedingungen weitgehend Einigkeit herrschte, zeigten sich bei der Umsetzung in der gestalterischen Praxis und deren Begründung Unterschiede und Differenzen, die u.a. auch zum Bruch und Austritt Mondrians 1925 aus der Gruppe führten. Für Mondrian war es wichtig im Gestaltungsprozess der Kunst zu versuchen, ein „Absolutes“ zu finden bzw. zu schaffen, was nach ihm nur gelingen kann, wenn „die Gleichgewichtsbeziehungen in der Natur (Position, Dimension und Wert) […] durch Position, Dimension und Wert von geraden Linien und rechteckiger Farbfläche (gestaltet werden), denn diese Positionsbeziehung ist die ausgewogenste, weil darin die Beziehung des extremen Einen zum extremen Anderen in vollkommener Harmonie ausgedrückt wird und sie alle anderen Beziehungen umfasst“ (Mondrian: Die neue Gestaltung in der Malerei 1917/18, S. 38).
Für Michael Seuphor, den Künstler und Theoretiker, der Mondrian noch in Paris kennenlernte, und der die erste Biographie von ihm verfasste, lässt sich in dieser Zeit auch das in unterschiedlichen Formen wiederkehrende Kreuz in den Werken von Mondrian erklären, „das er nie auf die optische Bildmitte ausrichtet, sondern immer asymmetrisch hinstellt und das durch das dynamische Gleichgewicht dieser Asymmetrie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, durch den ausgeklügelten Versatz farbiger Flächen unterstützt wird, bekommt Mondrian etwas von Absolutem in den Griff und gewinnen seine Bilder den ihnen eigenartigen Charakter des Unabänderlichen“ (Seuphor 1957, S. 149).
Erst auf dem Hintergrund dieser prinzipiellen Argumentation ist nachvollziehbar, warum es schon nach wenigen Jahren zum Austritt Mondrians aus der Stijl-Gruppe kam. Den Anlass boten 1924 van Doesburgs Vorträge in Prag, Wien und Hannover, wo er u.a. „mit dem Maler Vordemberge–Gildewart zusammentrifft; er lädt ihn ein, nachdem er seine Arbeiten gesehen hatte, sich der Stijl-Bewegung anzuschließen“, und entwickelt zeitgleich in seinen ‚Kontrakompositionen‘ „zum ersten Male ein Kompositionsschema, das auf diagonalen Linien beruht. Diese Malweise leitet eine neue Entwicklung in der Malerei Doesburgs und des Stijl ein. Van Doesburg nennt sie ‚Elementarismus‘„ (Jaffé 1965, S. 34).
van Doesburg Kontra-Komposition mit Dissonanten XVI 1925
Für Mondrian ist diese „Erweiterung„ der Basisbedingungen um die Diagonale eine Aufweichung der Bemühungen, ein absolutes Fundament für die Kunst zu finden, denn für ihn waren seine „Grundsätze der Neuen Gestaltung und ihre philosophischen und spekulativen Folgerungen so sehr ein Teil seiner selbst geworden, daß er keine Abweichung dulden konnte“ (Jaffé, S. 34). Van Doesburg dagegen sah diese Erweiterung der prinzipiellen Grundlagen als eine notwendige Weiterentwicklung an, durch die die Stijl-Gruppe auch anschlussfähig wurde für andere Kunstbewegungen. Rückblickend nach der Gruppenauflösung 1928, schreibt er in der Neuen Schweizer Rundschau:
„Durch eine immer lebendige und vielfach gegliederte Entwicklung konnten die hauptsächlich von P. Mondrian in ‚de stijl‘ entwickelten Prinzipien nicht mehr als allgemein charakteristisch für die Gruppengesinnung aufgefasst werden. Indem die Realisierung immer reicher, immer vielfältiger wurde, gewannen wir neue Gebiete. Als Zusammenfassung der neueroberten Einsichten und Möglichkeiten entstand der Elementarismus. In dem Begriff ‚elementare Gestaltung‘ war alles vereint, was wir vom Anfang bis heute an der Idee als wesentlich und allgemein gültig anerkennen“ (Neue Schweizer Rundschau 1929, S. 539).
Van Doesburg bezog sich damit auf die Jubiläumsausgabe von „de stijl“, in der er in klarer Abgrenzung zu Mondrian betonte: „Die Stijl-Idee auf eine völlig dogmatische und rein statische Konzeption festzulegen (Mondrian), hieße nicht nur die Entwicklungsmöglichkeiten ausschließen, sondern die Idee einschrumpfen und sie aus mangelnder Vitalität zu einem unfruchtbaren Dokument menschlichen Irrtums machen“ (de stijl, Gedenkausgabe S. 3).
van Doesburg Skizzen in einem Skizzenbuch ca. 1927
Diese Gedanken, die van Doesburg auch in einem Manifest dokumentiert, kommentiert Mondrian in einem Brief an Ihn, der zeigt, wie weit die zwei Protagonisten der Bewegung sich inzwischen voneinander entfernt hatten. „Nach Deiner eigenmächtigen Verbesserung der Neuen Gestaltung ist jede weitere Zusammenarbeit für mich ganz unmöglich“ (Brief an van Doesburg 4.12.1927, Stijl-Katalog, 1951, S. 72). Riese fasst diese Entwicklung prägnant zusammen, wenn er betont:
„Mondrian hat in seiner Kunst die theoretischen Grundsätze des De Stijl reiner und konsequenter fortgeführt als van Doesburg. Dieser wiederum hat die utopischen Postulate als Legitimation der gesamten Kunstrichtung weiterentwickelt und international – wenigstens für die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen – akzeptabel gemacht. Insofern haben wir es in der ersten Generation dieser “Konstruktivisten“ nicht nur mit zwei Künstlertypen zu tun, sondern grundsätzlich mit zwei Haltungen der Welt und der Kunst gegenüber. Diese beiden Haltungen werden die Entwicklung der Konstruktiven Kunst lange begleiten“ (Riese 2008, S. 50).
Legitimation und gesellschaftlicher Bezug
Bei der Rechtfertigung für das neue Denken und künstlerische Handeln gab es zunächst den absoluten ästhetischen Grundsatz: „Die Art des Malens kann nur durch die Art des Malens erklärt werden“ (de stijl I, S. 38). Für van Doesburg bedeutete das: „Der Grund war, daß das Ästhetische bis jetzt noch keine unabhängige Existenz erhalten hatte. Die Befreiung der Kunst aus den Banden der Moral, Religion und Natur mit dem Ziel, eine freie Aussage des menschlichen Geistes zu sein, ist deshalb ein wichtiger Teil des Wissens um die künstliche Entwicklung“ (de stijl II, S. 129). Schon dieser knappe Textauszug lässt das Ringen und die Suche der Stijl-Gruppe nach einer angemessenen Rechtfertigung des neuen Weges in der Kunst zwischen Individualismus/Universalismus, Denken/ Fühlen, Farbe/ Form etc. erkennen und wurde im regelmäßigen Publikationsorgan dokumentiert. Aus der immanenten Kunstauffassung leiteten einige Mitglieder (vor allem van Doesburg) auch weitergehende gesellschaftspolitische Veränderungen mit und durch die neue Kunst ab.
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Diese inhaltliche „Befreiung“ von bestimmten kulturell tradierten geistigen und geistlichen Vorgaben, gegenüber denen die Kunst nach Auffassung der Stijl-Gruppe bisher eher „Mittel der Darstellung“ als einen „eigenständigen Zweck“ vermitteln konnte, bedeute jedoch nicht, dass die Kunst nur noch ein formales Ausdruckmedium werden sollte, was van Doesburg besonders wichtig war:
„Es ist wirklich so, daß dem modernen Kunstwerk der thematische Gegenstand fehlt. Aber es fehlt ihm nicht das Thema selbst. Sein Thema bezieht sich auf die Natur der Malerei: auf ästhetisches Gleichgewicht, Einheit, Harmonie in einem höheren Sinne“ (de stijl IV, S. 35). Und Mondrian ergänzte diese Auffassung anspruchsvoll, wenn er betont: „Die Gesetze, die in der Kunstwelt immer bestimmender werden, sind die großen verborgenen Gesetze der Natur, die die Kunst auf ihre eigene Weise erfaßt“ (Mondrian, Circle, S.4, zitiert bei Jaffé 1965, S. 118).
Um diese weitreichenden Ansprüche im Diskurs über die Kunst als einer eigenständigen „Sprache“ begründen zu können, wurden in den Gründerjahren einerseits Anleihen bei der Philosophie (u.a. Hegel, Spinoza) gemacht. Andererseits spielten die nach der Jahrhundertwende populär diskutierten Erkenntnisse in der Physik zur Quantenphysik (Max Planck) und Relativitätstheorie (Albert Einstein) eine gewisse Rolle. Die Neuorientierung in den Naturwissenschaften, die Suche nach den kleinsten Bausteinen der Materie beflügelten auch in anderen Kulturbereichen die Bemühungen um die Suche nach dem „Elementaren“, dem „Absoluten“, den spezifischen und gleichzeitig allgemeingültigen Gesetzmäßigkeiten, dem „Universalen“ im Mensch-Welt-Bezug.
Damit verbunden war das Gefühl, auf diesem Wege eine Verwissenschaftlichung in den verschiedenen Kulturbereichen (Malerei, Architektur, Musik, Tanz, etc.) erreichen zu können. Begünstigt wurden diese Bestrebungen durch die Fortschritte in der modernen Technik (Fotografie, Automobil, Flugzeug, etc.), die auch zu jeweils eignen neuen Positionsbestimmungen herausforderten. Gleichzeitig sollte bei dieser eindeutigen Ausrichtung auf eine rationale, objektive, allgemein gültige Kunstproduktion und Rezeption vermieden werden, dass das künstlerische Oeuvre ohne eigenen Gehalt nur als die Umsetzung formaler (mathematischer) Bedingungen erscheint, was besonders Mondrian in der Gründungsphase betonte:
„Gefühl und Verstand betätigen sich zwischen beiden Polen Natur und Geist, zwischen denen das abstrakte Leben sich vollzieht. Wo der Verstand in direkte Berührung mit dem Geist kommt, offenbart sich die Vernunft, Aus der Vernunft steigt der universelle Gedanke. Diesem universellen Gedanken, der in der Seele erlebt wird, also zum Gefühl wird, verdankt die abstrakt-reale Malerei ihr Entstehen […] Nur durch das universale Gestaltungsmittel lässt sich der universale Gedanke in Bestimmtheit darstellen: Jede besondere Form stellt individuelles Denken dar“ (Mondrian 1917/18 in Riese 2008, S. 38).
Für Mondrian gab es dabei Anknüpfungspunkte vor allem in der Philosophie Spinozas und in der Theosophie seines Landsmannes Schoenmaekers. Spinoza hatte 1663 in seiner Schrift „more geometrico“ die Frage nach einer angemessenen Erkenntnismethode gestellt und auf die Mathematik verwiesen. Durch sie kommt nach Spinoza der suchende und forschende Mensch der Wahrheit am nächsten.
Eine zeitgemäße Übertragung von Spinoza fand Mondrian in Schoenmaekers System des sogenannten „positiven Mystizismus“, worunter dieser eine „plastische Mathematik“ in neu-platonischem Denkstil verstand. Nach diesem „lernen wir, die Wirklichkeit in unseren Vorstellungen in Konstruktionen zu übersetzen, die mit der Vernunft kontrollierbar sind, damit wir diese gleichen Konstruktionen später in der vorhandenen Wirklichkeit wiederfinden, um so die Natur mit der gestaltenden Sicht zu durchdringen“ (Schoenmaekers, In: Jaffé S. 67).
Die Suche nach dem Absoluten in der Kunst fand Mondrian in Anlehnung an Schoenmaekers Bestimmung der Wahrheit und deren Übertragung auf die Kunst. Gleichzeitig wird im Wissen um die enge Beziehung des Künstlers zum Philosophen erkennbar, warum Mondrian so konsequent an seiner Auffassung hinsichtlich des horizontalen/vertikalen Bildaufbaus festhielt, und den Bruch mit van Doesburg zugunsten einer mystisch-realen Philosophie in Kauf nahm. Denn für Schoenmaekers ergibt sich „Wahrheit“ immer dann, wenn es gelingt, „die Relativität der natürlichen Tatsachen auf das Absolute zu reduzieren, um das Absolute in natürlichen Tatsachen wiederzufinden“ (ebd. S. 97, In: Jaffe‘1965, S. 67).
Auf die Kunst übertragen bedeutet das für Schoenmaekers: Die „absolute Gerade“ als horizontale Linie charakterisiert „die absolute Zeit“. Der „absolute Strahl“ als vertikale Linie charakterisiert den „absoluten Raum“. „Das Kreuz. Es ist das Zeichen, das Strahl und Gerade vorstellt, auf eine Absolutheit erster Ordnung reduziert“ (Schoenmaekers, in Jaffé S. 67-70).
Mondrian Raute mit Blau 1926
Anders als Mondrian, der auf der Suche nach dem Absoluten in der Kunst und einer philosophischen Rechtfertigung auch in späteren Jahren sich nicht von diesem engen gegenstandsrelevanten Weg abbringen ließ, betonte van Doesburg einerseits auch eine deutliche Hinwendung zur Wissenschaft, wie sie insbesondere die russische Avantgarde vertrat. Andererseits zeigte er aber auch Wege auf, um eine frühzeitige Ghettoisierung der Stil-Bewegung zu vermeiden.
„Die meisten Maler arbeiten wie Zuckerbäcker oder Putzmacher. Wir dagegen arbeiten auf der Grundlage von (euklidischer und nicht-euklidischer) Mathematik und Wissenschaft, d.h. mit intellektuellen Mitteln“ (Van Doesburg 1930/ 2001 S. 27). Um diese Abgrenzung und Neuorientierung in der künstlerischen Praxis auch praktikabel werden zu lassen, schlug er einen disziplinrelevanten und gegenstandsübergreifenden Dreischritt vor:
„Ausdrucksmittel: als Ausdrucksmittelsind sind zu unterscheiden: 1. Äußerst verschiedene Formen (Mensch, Blume, Baum). 2. Formelemente (Kreis, Zylinder, Kegel). 3. Flächenelemente (Fläche, Linie, Farbe). Diesen drei Kategorien entsprechen drei Konstruktions-Kategorien. Der ersten: die natürliche, organische Konstruktion, der zweiten: die anorganische künstlerische Konstruktion, der dritten: die plastische (künstlerische) Konstruktion. Die historische Entwicklung der Kunst zeigt ganz deutlich die Reihenfolge der natürlichen Form, der Form-Flächenelemente“ (Neue Schweizer Rundschau 1929, S. 628).
Neben der skizzierten Erweiterung zu einem komplexen „Elementarismus“ und dessen pragmatischer Abgleichung mit der Kunstgeschichte wurde auch die ursprünglichen abstrakten Ansprüche Doesburgs, die ihn anfangs noch mit Mondrians Absolutheitsanspruch verband, immer mehr in den kulturpolitischen Alltag verlagert. Zwar hatte auch Mondrian einen gesellschaftlichen Bezug nicht ausgeschlossen, aber diesen eng an die immanente Gestaltungskraft durch die Kunst gebunden: „Bildnerisches Sehen ist nicht auf die Kunst beschränkt: es durchschaut alle Lebensäußerungen, und so wird eine allgemeine Einheit des Lebens möglich. Das reine bildnerische Sehen führt zum Verständnis der Konstruktion, die dem Seienden zugrunde liegt: Es sieht reine Beziehungen“ (Mondrian 1917/18 In: Riese 2008, S. 30).
Dagegen entwickelt van Doesburg eine deutlich pragmatischere Auffassung über das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft, was sich schon 1922 auf dem Kongress der „Union internationaler fortschrittlicher Künstler“ in Düsseldorf zeigte. Er verfasste dort eine Erklärung, in der es heißt: „Die Kunst ist ein allgemeiner und realer Ausdruck der schöpferischen Energie, die den Fortschritt der Menschheit organisiert, das heißt, sie ist Werkzeug des allgemeinen Arbeitsprozesses“ (Doesburg/Lissitzky/Richter 1922, S. 167).
Diese Ausweitung der Legitimation über rein ästhetische Rechtfertigungsversuche hinaus zugunsten utilitaristischer Erwartungen und Hoffnungen war wesentlich bestimmt worden durch die russische Avantgarde (insbesondere El Lissitzky, Kandinsky, Tatlin), die die Verknüpfung von kunsttheoretischen Ansprüchen und gesellschaftspolitischen Veränderungen nach der Russischen Revolution 1917 in Europa verbreiteten.
Im Laufe der 1920er Jahre reduziert van Doesburg das Malen erkennbar und konzentrierte sich vermehrt auf die Architektur, der er eine größere Gestaltungskraft und konkrete gesellschaftliche Veränderungsmöglichkeiten zuschrieb. Darüber hinaus widmete er sich kulturpolitischen Aktivitäten sowie der zeitgemäßen Weiterentwicklung der Stijl-Ideen in Vorträgen, Projektveranstaltungen und als Chefredakteur der Zeitschrift De Stijl. Er wurde dabei von der Vision getrieben, etwas Großes in knapper Zeit vollbringen zu müssen:
„Nur wenige haben das Maximum gestalterischer Schönheit begriffen und verstanden. Die Kulturgeschichte enthält hierfür Beispiele. Wird durch Einige eine neue Dimension erobert, entwickelt sich daraus eine neue Kunstauffassung. Will diese zu einem allgemeinen Kunstausdruck, zu Stil, werden, dann ist in vielen eine lange Vorbereitung des Bewußtwerdens nötig“ (de stijl III S. 2).
Architektur und Baugestaltung
Neben der Malerei gehörte die Architektur zu den zentralen Arbeitsbereichen der Stijl-Gruppe, was sich auch an der großen Zahl an Architekten in der Gründungsphase zeigt (Robert van’t Hoff, J.J. R. Oud, Jan Wils, Gerrit Rietveld, Cornelius van Esten). Wie die Stijl-Hefte belegen, wurde schon früh versucht, die Vorstellungen von einem neuen Bauen, das durch Klarheit und Ordnung gekennzeichnet ist, nicht nur in Entwürfen bekannt zu machen, sondern auch in konkreten Bauvorhaben zu verwirklichen, was selbstkritisch aber als schwierig eingestuft wurde.
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Robert van’t Hoff Villa Henny, Hui ter Heide 1914-1919 – Fotografie: Frank den Oudsten
„Durch die bestehenden Umstände in den Städten ist in der neuen Richtung wenig oder nichts zu erreichen… Es ist unmöglich, in eine schon existierende Stadt architektonische Einheit zu bringen […]. Der Anachronismus im Bauwesen, hervorgerufen sowohl durch das fehlende Interesse am Ästhetischen wie durch Unterschätzung , wird am besten durch die saubere Anwendung der Massenproduktion zu zügeln sein […] der Architekt tritt dann als Regisseur auf, der die verschiedenen Resultate der Massenproduktion zu einer baukünstlerischen Einheit formt: Kunst der Verhältnisse“ (de stijl I, S. 57 u. 79).
Kennzeichnend dafür ist u.a. Ouds Entwurf für Häuser an einem Strandboulevard, bei dem Rechteck und gerade Linien dominieren und traditionelle Vorstellungen und Baustile bewusst ignoriert werden. In zwei Häusern, der Villa „Allegonda“ in Katwijk und dem Gasthaus „De Vonk“ in Noordwijkerbut, in dem van Doesburg die Inneneinrichtung übernahm, konnte Oud dies erstmals auch konkret umsetzen.
J.J. Pieter Oud Villa Allegonda, Katwijk aan Zee,
1916- 1917 – Fotografie: Frank den Oudsten
J.J. Pieter Oud Villa Allegonda, Katwijk aan Zee,
1916 – 1917 – Fotografie: Frank den Oudsten
Gleichzeitig wurde dort die Idee einer grundsätzlichen Arbeitsteilung praktiziert, die eine Zusammenarbeit bei gleichzeitiger Unabhängigkeit auf der Basis gleicher Prinzipien sicherstellen sollte. Eine besondere Bedeutung erhielt bei solchen Vorhaben van der Leck mit seinen Möbelentwürfen in Verbindung mit der Gestaltung von Wohnräumen. Dass dieses anspruchsvolle Ziel in der Gruppe auch kontrovers diskutiert wurde, zeigt der Ausstieg van der Lecks schon 1918, nachdem sich seine Vorstellungen deutlich von denen van Doesburgs unterschieden.
Auf dem Hintergrund der skeptisch eingeschätzten größeren Wirkungsmöglichkeiten konkreter Veränderungen im Bereich der Architektur überraschte die frühe Karriere von Oud, der schon 1918 zum Stadtbaumeister von Rotterdam berufen wurde und anschließend mit einer Reihe von konkreten Baumaßnahmen die Vorstellungen von Stijl verwirklichen konnte (Weißenhofsiedlung, Siedlung in Hoek van Holland, Café De Unie).
J.J. Pieter Oud Entwurfszeichnung für eine Fabrik in Purmerend 1919 – Fotografie: Frank den Oudsten
Bei den verschiedenen Bauprojekten zeigten sich auch erste Veränderungen gegenüber den Prinzipien der Gründungsphase. So wird die dominierende Horizontale durch einen Wechsel von horizontalen und vertikalen Elementen abgelöst, woran u.a. Van Doesburg ab 1920 neben seiner Malerei und seinen Vortragsreisen einen wesentlichen Anteil hatte. Mit dem Architekten de Boer baute er eine Serie von Arbeiterwohnungen und Schulen in Drachten (Provinz Friesland).
Außerdem intensiviert er die Kontakte zum Bauhaus in Weimar, über die er rückblickend schreibt: „Im Winter 1921 fand das erste Treffen im Haus Bruno Tauts bei Berlin statt, wo die sogenannten ‚Bauhäusler‘ sich mit ihrem Chef Walter Gropius und den Architekten Meyer, Forbat sowie vielen anderen versammelten“ (van Doesburg: Neue Schweizer Rundschau 1929, S. 536). Der teilweise Rückzug der Architekten Oud, Wils und van’t Hoff aus der Stijl-Gruppe und der Neuzugang von Rietveld und van Eesteren, sowie die verstärkte Mitwirkung van Doesburgs führten auch zu einem veränderten Selbstverständnis der Architektur in der Stijl-Gruppe.
Cornelis van Eesteren Perspektiventwurf einer Ladenzeile mit Cafe‘-Restaurand, Den Haag 1924 – Fotografie: Frank den Oudsten
Die zeigt auch eine gemeinsame Proklamation 1923: „In gemeinsamer Arbeit haben wir geprüft und entdeckt, daß die Architektur als plastische Summe aller Künste bezeichnet werden kann. Die Konsequenz dieser Erkenntnis führt zu einem neuen Stil. Wir haben die Gesetze des Raumes erforscht […] und wir haben entdeckt, daß alle Veränderungen des Raumes als eine ins Gleichgewicht gebrachte Einheit betrachtet werden können“ (de stijl VI, S. 91).
Die Einladung zu einer umfassenden Ausstellung der Stijl-Ideen für die moderne Architektur 1923 in die Galerie Rosenberg in Paris wurde von Fachvertretern als eine „Offenbarung“ gefeiert, ein Jahr später noch einmal wiederholt und anschließend als Wanderausstellung in Nizza und Weimar gezeigt. In Zusammenarbeit mit dem jungen Architekten van Eesteren gelang es van Doesburg, vermehrt Prinzipien aus der Malerei auf die Architektur zu übertragen.
Nach Jaffé wird dabei „die Utopie […] in Realität umgesetzt. Diese Analyse der Architektur, diese Suche nach Elementen der architektonischen Kreation, ist ein Vorgang, der logisch mit den Stijl- Prinzipien verknüpft und höchst wichtig für die moderne Architektur ist“ (Jaffé 1965, S. 32). Schon ein Jahr später wurde das erste Haus nach den neuen architektonischen Vorgaben des Stijl von Rietveld, Eesteren und van Doesburg in Utrecht gebaut (de stijl VIII, S. 160). Es besticht durch seine Klarheit und offene Konstruktion. Der plötzliche Tod van Doesburgs im Frühjahr 1931 verhinderte, dass er noch in das von ihm geplante und kurz vorher fertiggestellte Haus für die Stijl-Bewegung in Meudon-Val-Fleury einziehen konnte.
Der Einfluss von de Stijl auf die Architektur zeigte sich jedoch auch nach seinem Tod in vielfältiger Weise bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Über einzelne Hausentwürfe hinaus hatte es jedoch auch schon vorher Ansätze bei Auftraggebern und Stadtplanern gegeben, ganze Straßenzüge im Rahmen eines übergreifenden Konzepts entwickeln zu lassen. So konnten van Eesteren und van Doessburg u.a. eine längere Einkaufsarkade mit Restaurant (de stijl VI S. 161) unter Beachtung fachübergreifender Stijl-Prinzipien planen, wie Jaffé betont:
„Er plante eine Straße gemäß ihrer vorher wissenschaftlich exakt untersuchten Funktion. Diese Projekte und Experimente bilden den Ausgangspunkt für eine Art der Städteplanung, dessen Konzeption ohne die fundamentalen und wesentlichen Erfahrungen des Stijl nicht hätten erreicht werden können“ (Jaffé 1965, S. 35).
Ein Beleg für solche zukunftweisenden Überlegungen war auch der erste Preis für van Eesteren in einem Wettbewerb für ein Straßen-Projekt „Unter den Linden“ in Berlin oder Jan Wils Olympia-Stadion für die Spiele 1928 in Amsterdam und die Siedlung „Daal en Berg“ in Den Haag.
Handwerk und Raumgestaltung
Schon in der Gründungsphase war es ein zentrales Anliegen der Stijl-Gruppe, die äußere Baugestaltung mit einer inneren Raumgestaltung zu verbinden, wobei eine erkennbare Arbeitsteilung zwischen dem Architekten und dem Maler umgesetzt werden sollte, mit dem Ziel: Zusammenarbeit und gleichzeitige Unabhängigkeit auf der Basis gleicher Prinzipien, wie es van der Leck schon im ersten Heft de stijl (I, S. 6) forderte. Dort zeigt er, wie es möglich sein könnte, ausgehend von Möbelentwürfen für ein Wohnzimmer, die Zusammenarbeit verschiedener Zweige der bildenden Kunst in einer erweiterten Raum- und Bauplanung so zu gestalten, dass etwas Gemeinsames entsteht, bei dem jeder Zweig sich auf seine genuinen Ausdruckmittel stützt (vgl. Jaffé 1965, S. 24).
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Wesentliche Impulse in dieser Richtung ergaben sich auch durch den Beitritt von Rietveld zur Architekten-Gruppe und seine Anfertigung von Möbeln unter Verwendung von genormten Holzteilen. Sein erster Lehnstuhl von 1917 wurde im zweiten Jahrgang, seine Anrichte und ein weiterer Stuhl im dritten Jahrgang von „de stijl“ abgebildet.
Gerrit Rietveld Rot-blauer Lehnstuhl 1918-1923 – From Wikimedia Commons, the free media repository
Van Doesburg lobt Rietvelds erweiterte Möbelperspektive, wenn er schreibt: „Diese Möbel beantworten durch ihre neue Form die Frage, inwieweit Bildhauerei im modernen Interieur eine Rolle spielen wird. Unsere Stühle, Tische und Schränke und andere zweckgebundenen Gegenstände sind “abstrakt-reale“ Skulpturen unserer zukünftigen Einrichtung […]. Auf diese Weise steht das Ganze frei und deutlich im Raum. Die Form ist durch das Material entstanden“ (de stijl II, S. 133).
Gerit Rietveld Buffet 1919
Vilmos Huszar (Farbgestaltung) u. P.J. Ch. Klaarhamer (Möbel) Jugendschlafzimmer 1919 – Fotografie: Frank den Oudsten
Rietveld-Schröder Haus, Utrecht 1924 – Fotografie: Frank den Oudsten
Mondrian unterstützt diese „grenzüberschreitenden“ Planungen in den ersten Jahren der Gruppe, allerdings mit einem strategischen Anspruch, wie er in einem Brief an van Doesburg erkennen lässt:
„Ich stimme vollkommen mit Ihnen überein, wenn Sie schreiben, daß die Inneneinrichtung der wichtigste Bestandteil ist. Aber erst in der Zukunft […]. Ich bin davon überzeugt, daß wir wegen dieser verderbten Architekten, wegen dieser Knechte des Publikums und dessen Geld augenblicklich nur in der Lage sind, es auf dem Papier zu verwirklichen.“ (Brief an Doesburg 1922, Stijl-Katalog 1951, S. 72)
Gleichzeitig schreibt er der Inneneinrichtung einer Wohnung einen nicht unwichtigen Mobilisierungseffekt im Sinne seiner ganzheitlich-universellen Kunstauffassung zu, indem er einen Vorrang des Interieurs fordert:
„Die Frage könnte noch besser gelöst werden, wenn man nicht länger einzelne Bilder malte! Wenn Menschen, die von der Neuen Gestaltung angezogen werden, ihre Wohnungen dementsprechend einrichten ließen, könnte die neo-plastische Malerei allmählich aufhören zu bestehen. Die Neue Gestaltung ist noch lebendiger, wenn sie um uns ist. Was die Ausführung betrifft: Ein Bild ist gleich schwierig wie die Eirichtung“ (de stijl III, S. 58-59). Er selbst nahm dies sehr wörtlich, indem er seine Bilder in einem Studio malte, das nach seinen gestalterischen Prinzipien eingerichtet war, und in dem er auch wohnte.
Zeitgenössische Aufnahme von Mondrians Atelier in Paris ca. 1926 -Fotografie: Frank den Oudsten
Ein weiteres Beispiel für die komplexe Denkweise in der Raumgestaltung war die Realisierung eines Auftrags an van Doesburg, den dieser auf Betreiben von Hans Arp und seiner Frau erhalten hatte. Es handelte sich um den Wiederaufbau und die Dekoration eines Hauses aus dem 18. Jahrhundert, das Restaurant und Tanzcafe „Aubette“ in Straßburg.
van Doesburg Farbgestaltung für die Wand zur Bar des großen Festsaals in der Aubette 1927 – Fotografie: Frank den Oudsten
Es ist nach Jaffé die wichtigste und vollständigste Realisierung der neuen Stijl-Grundsätze, ein Werk von „großer Aussagekraft. Die ‚Aubette‘ zeigt überzeugend, daß die Anordnung des Raumes, die Anordnung der Farbe und ihre gekonnte Anwendung ebenso wichtig sein können wie architektonische Möglichkeiten. Um so mehr ist es zu bedauern, daß ein Werk von so grundlegender Bedeutung zerstört wurde, es nur noch auf Fotografien vorhanden ist, die van Doesburg in der ‚Aubette‘ gewidmeten Ausgabe von ‚de stijl‘ 1928 veröffentlichte. Sie zeigen in verschiedenen Ansichten die wichtigsten Räume und Säle sowie den großen Festsaal und den Kino-Tanz-Saal. Dieser zuletzt genannte Saal wurde von van Doesburg ausgeführt, während einige andere Räume von Arp und seiner Frau Sophie Täuber-Arp eingerichtet wurden. Der Kino-Tanz-Saal kann als eine eindrucksvolle Leistung angesehen werden. Van Doesburg teilte die Mauerflächen dieses großen Raumes mit einer Komposition diagonal angeordneter Rechtecke auf, die sich über drei Wandflächen und die gesamte Decke des Raumes hinzieht. (‚de stijl‘, Aubette-Heft, S. 19ff) Diese Komposition erinnert an seine ‚Kontra-Komposition 1925‘, ist […] jedoch viel kräftiger und besitzt einen Schwung, der bis dahin beispiellos für den Stijl ist“ (Jaffé 1965, S. 38).
van Doesburg Farbgestaltung für die Wand gegenüber der Place Kleber im großen Festsaal und Farbgestaltung für die Wand der Filmprojektionen im großen Festsaal der Aubette 1927 – Fotografie: Frank den Oudsten
Abschließend kann man sagen, dass die Möbel und Rauminstallationen ernsthafte Versuche im und für den Alltag waren, die Grundprinzipien der Stijl-Ideen erlebbar zu machen, was van Doesburg betont, wenn er fordert: „Kein Schmuck, nichts Überflüssiges, nichts Künstlerisches im Sinne nachträglich außen angebrachter Schönheitsakzente, nur die Wahrhaftigkeit der Sache selbst. Vor allem Wahrheit, Funktion, Konstruktion. Nirgends ein Manko durch individuelle Reflexion“ (de stijl V, S. 36).
Gleichzeitig wurde damit aber auch Akzeptanz oder Ablehnung für den Nutzer offensichtlicher, da anders als bei einem Bild, das interessiert aber verständnislos wahrgenommen werden kann, ein Stuhl zwar formgerecht, aber unbequem als regelmäßige Sitzgelegenheit sein kann. D. h., „das Sitzen scheint eher eine individuelle Handlung zu sein, daß Rietvelds Stuhl für manche Menschen ideal und bequem ist, während andere ihn als sehr unpraktisch ablehnen“ (Jaffé 1965, S. 170- 171).
Technik, Film und Foto
Die enge Verbindung von Wissenschaft sowie Technik und Architektur als deren konkrete Anwendung bildete eine wichtige Hintergrundfolie für die Ausgestaltung der eigenen Stijl-Prinzipien. So befasste sich ein wesentlicher Teil des vierten Jahrgangs der Zeitschrift „de stijl“ mit der modernen Technik und der Arbeit des Ingenieurs. Anschaulich zeigten sich dabei weiterführende Fragen nach dem Beitritt des Filmemachers Hans Richter auf Einladung van Doesburgs zur Stijl Gruppe in 1921.
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Richter war bekannt geworden durch erste abstrakte Filme, die er mit dem schwedischen Maler Viking Eggeling geschaffen hatte. Die Filme zeigten der Stijl-Gruppe, welche Möglichkeiten sich gegenüber der statischen Fotographie ergeben, wenn die vierte Dimension, die Zeit, in die bis dahin bekannten Ausdrucksmitteln integriert wird.
„Die Idee, den statischen Charakter der Malerei durch den dynamischen Zug der Filmtechnik zu überwinden, wurde schon von den Künstlern praktiziert, die versuchten, die modernen Probleme der bildenden Kunst durch die fortschrittlichen Mittel der Filmtechnik zu lösen, um dadurch auf ästhetische Weise das Dynamische mit dem Statischen zu verbinden“ (van Doesburg de stijl IV, S. 71).
Für Richter sind dabei vier Phasen im Film bedeutsam: „Der Vorgang selbst: gestaltete Evolutionen und Revolutionen in der Sphäre des reinen Künstlerischen (abstrakte Formen). Analog etwa den unserem Ohr geläufigen Geschehnissen der Musik. Die Handlung […] findet in diesem reinen Material Spannung und Auflösung in einem Sinne, der, weil alle materiellen Vergleiche und Erinnerungen wegfallen, elementar magisch ist“ (de stijl IV S. 109).
„Dazu ist eine Sprache der Formen notwendig, die durch ihre elementare Komposition objektiv ist. Denn „für diese neue Kunst ist es unbedingt notwendig, über eindeutige Elemente zu verfügen. Ohne diese kann zwar ein sehr verführerisches Spiel entstehen, aber niemals eine Sprache“ (de stijl IV S. 112). Die auf diese Weise fundamental konfigurierten Bedingungen Licht und Zeit würdigt van Doesburg in einer späteren Ausgabe von de stijl:
„Die gestaltenden Ausdrucksmittel liegen also sowohl in der Zeit als auch im Raum – wie in der neuen Architektur – und können eine neue Dimension sichtbar werden lassen, wenn die Faktoren von Zeit und Raum zu einem gleichwertigen Ausdruck kommen […]. Frei von Statik und Schwerkraft kann der Film neue Licht -und Zeit-Architektur verwirklichen, die unser modernes Lebensgefühl befriedigt“ (de stijl VI s. 61-62).
Richters aktive Mitarbeit in der Stijl-Gruppe über viele Jahre und rege Publikation in der Zeitschrift hatte wesentlich zur Erweiterung der Stijl-Ideen beigetragen und Anknüpfungspunkte für Musik- und Tanzkonzepte bzw. deren Begründungen geliefert.
Sprache und Literatur
Der Begriff der „Sprache“ wurde im Diskurs der konstruktiv konkreten Kunst in zweifache Weise verwendet:
1. In bewusster Abgrenzung zur Kunsttradition, der vorgeworfen wurde, Kunst nur als mimetisches (nachahmendes) Ausdrucksmittel der Natur zu entwickeln, wurde durch die Reduzierung, Objektivierung und Systematisierung der Farben und Formen versucht, eine eigenständige „Sprache“ der Kunst zu entwickeln.
„Tatsächlich hat der Stijl eine neue Kunst-Sprache geschaffen“ wie Jaffe‘ betont. „Die künstlichen Ausdrucksmittel waren bis zum beginnenden 20. Jahrhundert abhängig vom Objekt und deshalb statisch. Aber im 20. Jahrhundert beschäftigt sich der Mensch nicht mehr mit der Materie, sondern mit Energie in der Natur. Es ist das Verdienst des Stijl, eine künstlerische Sprache geschaffen zu haben, die mit den Naturgesetzen übereinstimmt“ (Jaffe‘ 1965 S. 118-119). Vgl. dazu auch Abschnitt „Ziele und Perspektiven“ sowie „Legitimation und gesellschaftlicher Bezug.“
2. Gleichzeitig setzte sich die Stijl-Gruppe intensiv mit den unterschiedlichen Initiativen im Kunst- und Literaturbereich nach dem ersten Weltkrieg auseinander, die insbesondere die verbale Sprache, ihren Kontext und die daraus sich ergebenden literalen Ausdrucksformen in neuer Weise bestimmten, was sich insbesondere in der DADA- Bewegung zeigte.
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Die Neue Literatur war ein zentrales Thema in der Aprilausgabe 1920 von >de stijl<, in der es u.a. heißt: „Der Organismus unserer zeitgenössischen Literatur zehrt noch von den sentimentalen Gefühlen einer geschwächten Generation. Das Wort ist tot“ (de stijl III S. 49). Gleichsam als Antwort veröffentlicht van Doesburg im gleichen Heft unter dem Pseudonym I.K. Bonset seine „X-Beelden“ (X Bilder) sowie Fragmente einer Novelle „Het andere gezicht“ (Das andere Gesicht). Der erste Aphorismus ist eine Anerkennung des Dadaismus: „Falls sich hinter ‚Unsinn‘ ein tieferer Sinn versteckt als der der Norm, dann ist ‚Unsinn‘ nicht nur erlaubt, sondern sogar notwendig. Auf diese Art wird der Dadaismus neue übersinnliche Normen schaffen“ (de stijl, S. 84).
In „Grundlagen einer neuen Ausdruckweise in Versen“, schreibt er anschließend: „Diese Dichtung ist keine Philosophie und sicherlich keine Geschichte, sie dient nicht dem Verstehen. Sie ist selbst Existenz, ausgedrückt durch Ton, Tonbeziehung und Tonkunst. Um dies zu verwirklichen, müssen wir uns von der Vielzahl und der Fülle trennen, mit der uns die begreiflich logische Kultur Westeuropas während der letzten 50 Jahre belastet. […] Zuerst muß die Wiederherstellung des inneren Klangs des Worts angegangen werden. Um es von seiner Vergangenheit zu befreien, ist es notwendig, das Alphabet seinen abstrakten Tonwerten entsprechend zu erneuern. Das bedeutet zugleich die Wiedergewinnung der dichterischen Membrane unserer Ohren, die in solch großem Ausmaß geschwächt sind, daß lange phonogymnastische Übungen notwendig sind. Durch meine letzten Tonbilder habe ich diesem Leerlauf entgegengewirkt. Durch sie habe ich ein Alphabet geschaffen, daß dem inneren Klang und der Dichtung entspricht. Ausgehend von dieser geometrischen Dichtung kann sich eine in unserer Zeit notwendige poetische Sprache entwickeln. Obgleich formlos, sind diese Verse streng an Tempogesetze gebunden, wobei jede störende pathetisch-zweitrangige Geste vermieden wird“ (de stijl IV, S. 100-102).
D.h., die Methode und Zielsetzung der Literatur sind denen von Stijl in der Malerei und plastischen Kunst ähnlich, wie van Doesburg später betont: „Schöpferische Syntax, das Wort, die Sprache, der Satz werden geeignet sein, die menschliche Mentalität so tief und wesentlich zu verändern, daß ein ganz neuer Weg des Sehens und Denkens die Folge sein wird“ (de stijl VII, S. 3). Van Doesburg veröffentlicht seine Ansichten zum Dadaismus unter einem Pseudonym, da er einerseits diese grenzüberschreitenden Aktivitäten im Bereich der Sprache und Literatur begrüßte, aber andererseits auch deren Bedeutung für die bildende Kunst verneinte. Rückblickend schrieb er dazu 1929:
„Denn aus dem Chaos der alten zertrümmerten Welt schuf der Dadaismus mit dem Wort eine neue imaginäre Welt, die Welt der Umgestaltung, der reinen Dichtung. Es ist also kein Zufall, daß die zwei einander diametral entgegengesetzten Richtungen, Neo-Plastizismus und Dadaismus (jetzt Surrealismus) eine Parallele bildeten: die schöpferische Wortkunst. So läßt sich auch erklären, warum die Führer der Stijl-Bewegung mit dem Dadaismus sympathisierten und ihre Sympathie öffentlich kundgaben“ (Neue Schweizer Rundschau 1929, S. 376).
Über diese direkten Bezüge zum Dadaismus hinaus gab es auch unterschiedliche Beiträge verschiedener Schriftsteller in der stijl-Zeitschrift. So veröffentlichte dort u.a. Hans Arp, die holländische Essayistin Til Brugman, der französische Schriftsteller Ribemont oder der Dichter Hugo Ball.
Musik und Tanz
In der Musik sahen viele Mitglieder der Stijl-Gruppe eine Kunstform, der auf dem Weg zu einer eigenständigen Sprache eine prototypische Bedeutung zugesprochen werden kann. Sowohl in ihrer realen Performanz als Klangereignis als auch mit ihrer tradierbaren Notations-Schrift hat sie sich eine Unabhängigkeit von mimetischen Erwartungen geschaffen, für die die bildende Kunst noch die Voraussetzungen schaffen sollte.
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Eine Annäherung versuchte van Doesburg in Zusammenarbeit mit Kok unter dem Pseudonym Bonset in seinem Dada-Beitrag „Letterklangbeelder“ (Buchstabenklangbilder), in dem er eine neue Form einer musikalischen Poesie skizzierte.
Eine besondere Beziehung zur Musik entwickelte auch Mondrian. Sie wird in den ersten Jahren wesentlich geprägt durch seine Freundschaft zu dem Komponisten van Domselaar, der dies u.a. auch in einem Musikstück zum Ausdruck bringt, in dem die Malerei Mondrians thematisiert wird durch fünfzehn Takte harmonisch-musikalischen Gleichgewichts bei gleichzeitigen, gegenläufigen Klangbildern. Nach seiner Übersiedlung nach Paris lernte Mondrian den holländischen Komponisten Daniel Ruyeman kennen. In der Folge komponierte dieser ein Musikstück, in dem elementare musikalische Klänge so hörbar werden, dass sowohl ihre konstituierenden Effekte als auch ausgleichende Balancen wahrgenommen werden können.
Mondrian wiederum dokumentierte sein vertieftes Musikinteresse in zwei Artikeln zur künftigen Musikentwicklung. Er verwirft darin das traditionelle melodische System musikalischer Komposition, wendet sich gegen individuelle Ansprüche der Komponisten und ausführenden Musiker und fordert als Ziel einer zukünftigen Musik eine „neo-plastische Musik“ auf der Basis einer objektiven Musiksprache. Um dies alles realisieren zu können, müssten aus seiner Sicht auch neue Instrumente Anwendung finden, die gleichförmige und verschiedenartige Klänge hervorbringen können, ohne dass dadurch menschliche Gefühle berührt werden. Das Ziel sollte es immer sein, Kompositionen zu schaffen, die alle Unbestimmtheit, Sentimentalität und Emotionalität vermeidet auf der Basis von neuen Rhythmen, in denen nicht die Wiederholung von Gleichem, sondern Gegensätze dominieren. Werden solche Musikstücke aufgeführt, könnten im Sinne eines „Gesamtkunstwerks“ in den Pausen neo-plastische Bilder gezeigt werden. Auch wenn Mondrian sich bewusst ist, dass dies noch sehr utopische Vorstellungen sind, könnten sich aus solchen übergreifenden Ideen Zielperspektiven für die Zukunft ergeben.
Der Tanz als die körperlich wahrnehmbare Bewegungs-Erfahrung von Raum in der Zeit, wurde in Verbindung mit der Musik (als Raumerfahrung) und dem Film (als Zeiterfahrung) als eigenständiger künstlerischer Gegenstand wahrgenommen. In Abgrenzung zur traditionellen Tanzgeschichte interessierte man sich vor allem für die Möglichkeiten elementarer Bewegungssequenzen in Verbindung mit einer entsprechenden Musik.
Im Heft VII „de stijl“ beschreibt Valentin Parnac einen Tanz, den er „Epopeé“ nennt, und der in Moskau im Meyerhold-Theater aufgeführt worden war. Dort werden räumliche Konfigurationen gezeigt, die den Prinzipien der bildenden Kunst im Stijl zu entsprechen scheinen, da sie als abstrakt angesehen werden können und keinen persönlichen Inhalt haben. Der Eindruck einer Entnaturalisierung wurde dadurch verstärkt, dass der menschliche Körper, der sonst ein dominierendes Ausdrucksmittel im Tanz ist, durch ein einfaches lineares Schema ausgedrückt wurde. Nach Auffassung von Jaffé ist dieser Beitrag von Parnac
„das einzige Zeugnis über die Tätigkeit des Stijl auf dem Gebiet des abstrakten Tanzes. Es muß jedoch zugegeben werden, daß der Einfluß des Stijl sich in den folgenden Jahren sehr stark im Tanz und vielleicht sogar noch stärker in der Choreographie auswirkte. Dort wurde in zunehmendem Maße die gebogene Linie vermieden, und es wurde in gleichem Maße ein Schema der choreographischer Komposition übernommen, das auf dem Gegensatz von horizontalen und vertikalen Bewegungen beruhte (wobei es) außerordentlich schwierig ist, Beispiele dieser neuen Tendenz anzuführen, da Fotografien selten sind, die zudem nur einen Augenblick der Entwicklung festhalten“ (Jaffé 1965, S. 192).
Neben diesen verschiedenen theoretischen Überlegungen gab es auch unterschiedliche praktische Einblicke in die Welt des Tanzes. Wesentlich dazu beigetragen hatte Sophie Arp-Täuber, Ehefrau des Schriftstellers, Malers und Typographen Hans Arp, die als Tänzerin und Choreographin nicht nur praktische Tanzerfahrungen der Gruppe vermittelte, sondern u.a. auch bei dem Umbau des Kino- und Tanzsaales „Aubette“ in Straßburg unter Federführung von van Doesburg ihre Vorstellungen mit einbrachte. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist auch, dass Mondrianein Jazz-Anhänger und begeisterter Boogie-Woogie-Tänzer gewesen war, was besonders nach seiner Übersiedlung in die USA deutlich wurde.
Literatur
De-Stijl-Manifest (1918/19, 1960). In: De Stijl 2. Jg. 1918/19 Nr. 1, abgedruckt in: Konkrete Kunst – 50 Jahre Entwicklung. Katalog Helmhaus. Zürich 1960.
Jaffé, H.L.C. (1965): De Stijl 1917 – 1991.Der niederländische Beitrag zur modernen Kunst. Berlin, Frankfurt/Main, Wien: Ullstein.
Riese, H.P. (2008): Kunst: Konstruktiv/Konkret. Gesellschaftliche Utopien der Moderne, München, Berlin: Deutscher Kunstverlag.
Warncke, C.-P. (1990): Das Ideal als Kunst De Stijl 1917 – 1931. Köln: Benedikt Taschen Verlag.
Weitere Literatur
Jaffé, H.L. C. (1967): Mondrian und De Stijl. Köln.
Jaffé, H.L. C. (1983): Theo van Doesburg. Amsterdam.
Kappeler, S. (1980): Verena Loewensberg. Betrachtungen zum Werk einer konstruktiven Malerin. Zürich.
Maur, K. v. (1985): Mondrian und die Musik im Stijl. In: KAT. Stuttgart 1985, S. 400-407.
Mondrian, P. (1925 /1974): Neue Gestaltung. Neoplastizismus. Nieuwe Beeling. Bd. 5 der „Bauhausbücher“ München 1925. Reprint Reihe „Neue Bauhausbücher“. Hg. H.M. Wingler. Mainz/ Berlin 1974.
Seuphor, M. (1956): Piet Mondrian, Leben und Werk. Köln.
Wismer, B. (1985): Mondrians ästhetische Utopie. Baden.